In älteren Zeiten waren die Kirchen Nürnbergs vielfach mit kleinen Bretter- oder Fachwerkbuden umbaut, in denen Kleinhandel und Trödel verschiedenster Art getrieben wurde. Gab es wohl etwas Bequemeres als die Ausnutzung des freien Raumes, der sich zwischen den Strebepfeilern und an den Wandflächen unterhalb der Fenster wie von selbst gegeben darbot? Kaum jemand war auf diesem Gebiet so findig als der rührige, geschäftsgewandte Nürnberger, der an der kleinsten verfügbaren Stelle seinen Vorteil zu finden wußte. So entstanden am Chor von St. Sebald und rings um die Frauenkirche herum die vielen kleinen Kramläden mit ihren steil hinaufgezogenen Dächern, die sich mit diesen Bauten zu einem malerischen Bilde verbanden. Besonders originell nahm sich mit diesen Anhängseln, wie ältere Ansichten erkennen lassen, die Frauenkirche aus, wo die steilen Pultdächer jener teilweise weit in die Fenster hineinschnitten. Selbst der reich skulpierte Portalvorbau an der Giebelseite wies an seiner Front eine Krambude auf. Ein wenig anders war es bei der Lorenz- und Jakobskirche. Hier traten die kleinen Kramläden in der Mehrzahl nicht unmittelbar an den Bau heran, sondern zogen sich in einiger Entfernung freistehend um diesen herum. An der Jakobskirche wurde sogar Handel mit Perücken, Stühlen, Möbeln verschiedener Art, ja Antiquitäten getrieben. Die Predigerkirche und die Barfüßerkirche, die, letztere mit Ausnahme des Chors, heute nicht mehr bestehen, waren beiderseits des Haupteinganges an der Giebelseite mit solchen Anbauten bedacht. Die kleine Moritzkapelle hatte deren, wie ein Kupferstich aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dartut, nicht weniger wie sieben aufzuweisen. Zwei standen, vor der Giebelseite, deren Zugang verdeckend. So mußte der kleinere, auf der Südseite des Langhauses gelegene Eingang benutzt werden, der heute noch vorhanden ist. Die anderen hatten ihren Platz zwischen den Strebepfeilern am Chor und Langhaus. Die Kirchen allein aber waren es nicht, die von dem praktischen Nürnberger für seine Zwecke ausgenützt wurden. Auch an anderen Stellen wußte er ein Plätzchen für seinen Kram zu finden, so namentlich an den Stadttürmen und Stadttoren, am Tiergärtnertorturm, am Frauentor und am Lauferschlagturm.
All diese kleinen Bauten sind im Laufe der Zeiten verschwunden. Man hat gründlichst mit ihnen aufgeräumt. Die nivellierende Glätte einer späteren Epoche mochte sie nicht leiden. Man hatte keinen Sinn mehr dafür, wie volkstümlich solch kleine, aus dem praktischen Bedürfnis entsprungene Anhängsel an monumentalen Bauten wirken, wie reizvoll der Gegensatz, der darin liegt, berühren muß. Übrig geblieben ist von jenen fast allein nur das Bratwurstglöcklein, heute trotz seiner Kleinheit, ja man möchte sagen eben wegen seiner Kleinheit, eine der größten Berühmtheiten Nürnbergs, gilt doch der Satz: Wer das Bratwurstglöcklein nicht gesehen, kennt Nürnberg nicht!
Aber woher kommt es, daß gerade das Bratwurstglöcklein vor allen anderen die Zeiten überdauert hat, und daß es sich noch heute eines so lebhaften Zuspruchs erfreut? Es war eine der Garküchen der Stadt, denen das Recht zustand, Stadtbiere auszuschenken, und die weiter begünstigt waren, Schweine zu schlachten, das Fleisch zu verkochen und Bratwürste zu braten. Wahrscheinlich waren letztere von jeher seine besondere Spezialität. Aber das allein würde denn doch nicht ausgereicht haben, ihm eine dauernde Daseinsberechtigung zu sichern. Eine sehr gewichtige Rolle spielte bei alledem wohl seine Lage. Vom Tiergärtnertor her und zu diesem hin flutete ein reger Verkehr. Die heutige Bergstraße bildete eine der Hauptverkehrsadern des alten Nürnberg. Dazu lag in der Nähe das Rathaus und weiterhin die stets von Fremden vielbesuchte Pfarrkirche zu St. Sebald. Auf dem freien Platz aber nach Norden herrschte zuweilen fröhliches Marktleben, sollen doch hier die Bäuerinnen ihre Feilschaften, besonders Milch, dargeboten haben, wonach der Platz, den jetzt das Rauchsche Monument Albrecht Dürers ziert, vormals den Namen Milchmarkt führte. Auch fand ehedem an Petri und Pauli und am nächsten Sonntag nach St. Gallentag bei der Moritzkapelle Kirchweih und Markt statt. So mag denn manch einer zu einem kleinen Imbiß und einem guten Trunk dort eingekehrt sein, um die erschlafften Lebensgeister zu erneuern. Daher kam es, daß man hier ständig ein- und ausging und so das Bratwurstglöcklein nicht das Schicksal anderer Garküchen seiner Art teilte. Denn das Bratwurstglöcklein war nicht die einzige an ein öffentliches Gebäude oder an eine Kirche angebaute Wirtschaft. Es befand sich eine solche auch am Lauferschlagturm, am inneren Frauentor und selbst an der Lorenzkirche. Was letztere betrifft, so scheint sie ihre Stelle zwischen den Strebepfeilern auf der Westseite des nördlichen Turm es gehabt zu haben. Hier zeigt die Delsenbachsche Ansicht der Lorenzkirche und ihrer Umgebung vom Jahre 1715 eine kleine Bude mit steilem Pultdach, aus dessen First ein Schlot bis zu dem Fenster des unteren Turmgeschoßes heraufragte. Rechter Hand befand sich eine Türe, linker Hand ein kleines hochgelegenes Fenster, zu dem man von einer Stufe aus hinaufreichen konnte. Diese Garküche ist nicht zu verwechseln mit einer anderen, die auf dem Kirchhof stand. Sie wurde im Jahre 1492 erbaut, im Jahre 1569 aber wieder abgebrochen und oberhalb St. Lorenzen an die Mauer des alten Stadtgrabens verlegt. Sie führte die Bezeichnung »das Ochsenköpflein“; späterhin hieß sie »roter Ochs“. An dem Hause, in dem sie sich befand, war als Wahrzeichen mehrmals das Bildnis des Heiligen sich später ein Gasthof, der fahrende Passagiere, Fuhrleute etc. beherbergen, Hochzeiten und andere Gastungen verlegen, auch eine Herberge der Handwerker halten durfte. Älter war die unter dem Lauferschlagturm befindliche Garküche. Schon am 8. August 1489 wurde beschlossen, vor dem inneren Laufertor und auch vor dem inneren Frauentor zwei »gemeine Küchen“ aufzurichten. Die Küche unter dem inneren Laufertor wurde, noch am 10. Dezember desselben Jahres dem Stadthafner Niclas Seiler um vier Gulden jährlichen Eigenzins vererbt und ihm für den Bau 100 Gulden auf fünf Jahre geliehen. Es war sogar die Errichtung einer zweiten Garküche an demselben Tore beabsichtigt, doch konnte dieser Plan nicht in die Tat umgesetzt werden, da sich hinterher herausstellte, daß der betreffende Platz schon einem Schreiner überlassen war (Lochner).
Es entsteht nun die Frage: Wie alt ist wohl das Bratwurstglöcklein und was weiß die Geschichte von ihm zu berichten?
Das Bratwurstglöcklein ist ohne eigene Hochmauer an die Nordseite der Moritzkapelle, deren ganze Breite es „fast allein für sich beansprucht, angebaut; es kann also schlechterdings nicht früher als diese errichtet worden sein. Es ist natürlich, daß wir darum die weitere Frage aufwerten: Wann wurde die Moritzkapelle erbaut?
Die Angabe, Eberhard Mendel habe die Kapelle im Jahre 1313 gestiftet und sie sei im Jahre 1354 zur Zeit der Judenverfolgungen abgebrochen und durch die Familien Mendel und Geuder an ihre jetzige Stelle versetzt worden, entbehrt der Richtigkeit (vgl. hierzu Lochner).
Die Moritzkapelle wurde nicht erst im Jahre 1313 gestiftet, sondern bestand bereits. Auch ist es ganz verkehrt, die Kapelle zu den Judenverfolgungen in Beziehung zu setzen. Diese fanden nicht erst im Jahre 1354, sondern schon im Jahre 1349 statt. Außerdem sind die Juden bereits am 2.Mai 1352 wieder in die Stadt aufgenommen worden. Von alledem bleibt als zu Recht bestehend nur die Jahrzahl 1313 übrig; denn in diesem Jahre wurde die Moritzkapelle, auf die dringenden Bitten der Bürger von Nürnberg hin, von ihrem früheren geräuschvollen Platz auf dem Salzmarkt in der ehemaligen Judengasse, wo späterhin das Kürschnerhaus stand und jetzt das sogenannte Telegraphengebäude steht, weil dorten, wie es heißt, durch Juden und Christen weltliche Händel getrieben wurden, auf den Kirchhof von St. Sebald übertragen. Bischof Wulfing von Bamberg gab am 6. September seine Erlaubnis dazu und erteilte dem Pfarrer Hermann von St. Sebald die erforderlichen weiteren Weisungen. Die Weihe fand am 19. Oktober des Jahres 1314 statt. Hiermit wäre also der früheste Termin für die Erbauung unseres Bratwurstglöckleins gegeben. Doch darüber später mehr! Bleiben wir zunächst bei den bewegten Schicksalen, welche die Moritzkapelle, mit welcher jenes unzertrennlich verbunden ist, über sich ergehen lassen mußte, stehen!
Mit der Einführung der Reformation, die in Nürnberg eine allgemeine war, verlor die Moritzkapelle ihre Zweckbestimmung. Sie wurde nur wenig und schließlich gar nicht mehr zu kirchlichen Zwecken verwandt, ja schließlich fand sie die nur wenig passende Verwendung als Weinlager. Die Folge davon war eine völlige Verwahrlosung ihres Äußeren, mehr aber noch ihres Inneren. Als aber auf das Jahr 1611 der fürstliche Kollegialtag nach Nürnberg einberufen wurde, begann man sich der begangenen Unterlassungssünde bewußt zu werden. Man befürchtete, mit dem bußwürdigen Zustand der Moritzkapelle bei den katholischen Bischöfen, Prälaten und Herren Anstoß zu erregen, man schämte sich der eingetretenen argen Devastierung, entfernte die Weinfässer und ließ die Kapelle außen tünchen. Die Arbeiten begannen am 4. September und wurden beendigt am 30. September. Während das Äußere mit neuem Mörtel beworfen, geweißt, im Mauerwerk ausgebessert und aufs Säuberlichste zugerichtet wurde, so daß die Kapelle wieder ein hübsches Aussehen bekam, geschah mit dem Inneren nichts. Man beschränkte sich also, wie auch bei der Kirche zu unser Frauen Brüdern am alten Roßmarkt und beim Augustinerkloster darauf, äußerlich ein sauberes Mäntelchen umzuhängen. Verboten aber wurde es, fernerhin Weinfässer in die Kapelle hineinzulegen. Sie wurde geschlossen. Am 26. September fand man einen Spruch an der Kapellentür angeschrieben, der in dürren Worten die mit der Kapelle vorgenommene Erneuerung treffend charakterisiert. Er lautete:
»Die Cappeln steht in Gottes gewalt,
Ist außen Neu und innen Alt.“
Die alten zerbrochenen Glasfenster wurden ausgebessert und erneuert. Einige Fenster wurden zugemauert. Die alten Scheiben in den anderen wurden herausgenommen, gewaschen, in neues Blei gesetzt und die Löcher mit neuem Glas ausgebessert. Wie wir einer gleichzeitigen Chronik entnehmen, verdiente der Almosglaser an dieser Arbeit 26 Gulden.
Seit dem Jahre 1626 bis in die letzten Zeiten der Reichsstadt wurde die Kapelle benutzt, um Kinderlehren d.h. vorbereitenden Religionsunterricht in ihr abzuhalten. Es ist kein Wunder, wenn es in den trüben Zeiten zu Anfang des 19. Jahrhunderts dahin kam, daß auch die Moritzkapelle in ihrer Erhaltung ernstlich in Gefahr geriet. Sie wurde mit daran gebauten drei Kramen auf Montag den 13. August des Jahres 1806 vom Bauamt zum Verkauf ausgeschrieben. Damit wäre auch das Schicksal unseres Bratwurstglöckleins besiegelt gewesen.
Aber es sollte glücklicherweise nicht dahin kommen. Wurden auch andere Kirchen, Klöster und Kapellen in ziemlicher Anzahl abgetragen oder, wie z. B. das Barfüßerkloster, zu profanem Gebrauch gänzlich umgestaltet, die Moritzkapelle blieb bestehen und auch die Krame wurden noch lange Zeit belassen. Zwar wurde sie danach noch zu weltlichen Zwecken, wie als Brotmagazin und Holzlager, verwandt. Dann aber erfuhr sie durch Heideloff im Geiste der damaligen Zeit eine durchgreifende Wiederherstellung, um im Jahre 1829 die unter der Leitung des kgl. Zentralgalerie-Direktors von Dillis aufgestellte Sammlung von Gemälden der älteren ober- und niederdeutschen Malerschule aufzunehmen.
Und nun wieder zu unserem Bratwurstglöcklein! Die Tradition weiß zu berichten, daß seiner zum ersten Mal im Jahre 1400 Erwähnung getan wird. Ein Beweis hierfür ist bislang nicht erbracht worden. Und das ist auch gar nicht nötig. Das Natürlichste ist anzunehmen, daß das Bratwurstglöcklein schon bald nach der Verlegung der Moritzkapelle vom Markt auf den Sebalder Kirchhof, also nach dem Jahre 1313 an diese angebaut worden ist. Wann dies geschehen ist, läßt sich natürlich nicht bestimmt sagen. Nur Vermutungen lassen sich darüber aufstellen. Laut einer im Nürnberger Stadtarchiv aufbewahrten Urkunde vom 18. Januar 1344 vertauschen Otto von Heydekke, Landkomentur zu Franken, Komentur und die Vereinigung des deutschen Hauses an die Pfleger der Pfarre zu St. Sebald Hermann Ebner und Bertold Tucher die Eigenschaft an den Kramen, die des verstorbenen Bertold Pfinzing Kinder Erbe sind, gelegen an St. Sebalds Kirchhof, sowie ihre Eigenschaft an dem Gaden d. h. einem Haus von nur einem Gemach, gelegen unter den Köchen auch an St. Sebalds Kirchhof, welcher Herrn Ulrich Küdorfers Erbe ist, gegen die Eigenschaft von vier Häusern in der Schmiedgasse. Am 23. August des Jahres 1359 verkaufen Kunigunda Küdorferin und ihre Söhne Ulrich und Albrecht ihr Erbe unter den Köchen, zunächst an Hermann des Grundherrn Gaden gelegen, das sie von der Pfarre St. Sebald in Nürnberg gehabt, den Pflegern dieses Gotteshauses Heinrich Vörchtel und Seitz Maurer.
Es gab also damals mehrere Garküchen am Sebalder Kirchhof. Die Annahme, daß diese dicht zusammengelegen haben, kann als berechtigt nicht von der Hand gewiesen werden, sonst hätten sie schwerlich zur Bezeichnung einer bestimmten Gegend verwandt werden können. Es ist nicht statthaft, mit voller Bestimmtheit behaupten zu wollen, daß unser Bratwurstglöcklein eine dieser Garküchen gewesen sei. Doch besteht kein Hindernis, dies zu mutmaßen. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß das heutige Bratwurstglöcklein in seiner ursprünglichen Gestalt schon im Jahre 1344 bestanden hat. In diesem Fall wäre seine Erbauung für die Zeit zwischen den Jahren 1314 und 1344 anzusetzen.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hören wir nur von einem Koch bei St. Sebald. Und damit gewinnen wir festeren Boden unter den Füßen. Dieser Koch bei St. Sebald kann nach der näheren Bezeichnung der Örtlichkeit kein anderer gewesen sein als der Wirt oder Besitzer des Bratwurstglöckleins. Dafür einige Belege! Unter den Sicherheitsmaßnahmen im alten Nürnberg spielten ehemals die Kettenstöcke eine gewichtige Rolle. Näher unterrichtet sind wir hierüber durch die vortreffliche und inhaltreiche Studie von Archivrat Dr. Ernst Mummenhoff: Die Kettenstöcke und andere Sicherheitsmaßnahmen im alten Nürnberg. Sie dienten dazu, die Straßen und Plätze zur Verhütung von Massenansammlungen und zum Schütze vor plötzlichem Aufruhr zu versperren. Später bedurfte man ihrer nicht mehr, und so kamen sie nach und nach außer Gebrauch, bis sie schließlich ganz verschwanden. Wie Endres Tucher in seinem zwischen 1464 und 1475 verfaßten Baumeisterbuch berichtet, hatte der Baumeister, wenn die Reichskleinodien im ehemals Schopperschen Hause am Hauptmarkt gezeigt werden sollten, zuvor den Stadtmeister, den Zimmermann und seiner Gesellen zwei sowie den Stadtschmied zu allen Gassenketten in der Stadt zu senden, sie anzuschlagen und zu prüfen, ob alles daran in gehöriger Ordnung sei. Fanden sie etwas in Unordnung, so hatten sie dies sofort dem Baumeister mitzuteilen, der alsbald für Abhilfe Sorge tragen mußte. Hierfür bekamen sie nach altem Herkommen außer ihrem Taglohn zwei Viertel Wein zum Vertrinken. Sie richteten es aber, heißt es dann, immer so ein, daß sie zur Mittagszeit kamen „zu dem Koch pei sant Sebolt“; dort aßen sie und verzehrten dabei fünf oder sechs Groschen, welche Endres Tucher jeweilig als Trinkgeld für sie bezahlte. Damals befanden sich im Pflaster vor den beiden Gittern an St. Sebalds Kirchhof gegen den Milchmarkt, d h. nach dem Albrecht-Dürer-Platz zu, zwei Kettenstöcke. Ein weiterer hatte seine Stelle im Pflaster über das Gitter hinter der Moritzkapelle am Chor an St. Sebalds Kirchhof. Diese waren am Mittwoch vor der Heiligtumsweisung durch den Stadtbaumeister zu schließen. Im Zusammenhang damit stehen folgende Angaben in Endres Tuchers Verzeichnis der Ketten und Schlösser im Milchmarkt-Viertel:
»Item Grünwalt, platner, hat ein schloss vor dem gitter hinter sant Mauritzen kore.“
„Item Hanns Müllner hat zwei schloss von seinem haus an des Schürstabs haus.“
„Item Peter, koch, hat ein schloss von seiner küchen an des Schürstabs haus.“
„Item Fritz Thirolt hat vier schloss von seinem haus an dem pfarrhof und für die zwei gitter dabei.“
Das Schürstabsche Haus war kein anderes als das große Eckhaus mit der schönen Madonna vom Jahre 1482 (Kopie, das Original befindet sich im Germanischen Museum) über die Gasse hinweg nordwärts des Bratwurstglöckleins. Im 14. und 15. Jahrhundert werden die Schürstab wiederholt als Inhaber desselben genannt. Noch im Jahre 1470 verkauft es Leupold Schürstab an seinen Vetter Erasmus. Auch die anderen soeben mitgeteilten Angaben beziehen sich auf die nächste Umgebung des Bratwurstglöckleins. So kann denn kein Zweifel darüber obwalten, daß es damals schon existierte. Die kurze Bezeichnung „Peter, koch“ für seinen Inhaber lehrt, daß es ein stadtbekanntes Lokal war.
Aber man würde sehr irren, wenn man annehmen wollte, daß das Bratwurstglöcklein damals schon genau so aussah wie heute. Es war nur halb so groß und dehnte sich auch noch nicht über die Giebelflucht der Moritzkapelle hinaus aus. Ein großer Schwibbogen verband diese in jener Zeit mit dem Sebalder Pfarrhof und darüber erhob sich seit dem Jahre 1482 ein von der Familie Starck gestiftetes hölzernes Kruzifix. Der Bogen wurde im Jahre 1527 abgebrochen, als man den Weinmarkt erweiterte und von diesem eine Einfahrt zum Sebalder Kirchhof herstellte, wobei man den Steig, der vom Kirchhof zum Albrecht Dürerplatz hinaufführte, beseitigte. Das Kruzifix wurde nach dem Jahre 1543 außen am Löffelholzchor der Sebalduskirche angebracht und in den Jahren 1624 und 1625 auf Veranlassung der Gebrüder Johann und Georg Starck durch einen Erzguß ersetzt.
Auch im 16. Jahrhundert wird unseres Bratwurstglöckleins Erwähnung getan, so in den Jahren 1519 und 1568. In den Ratsbüchern – ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle und die im Stadtarchiv befindlichen Urkunden der Liebenswürdigkeit des Herrn Archivrats Dr. Ernst Mummenhoff – findet sich beim Jahre 1519 zum 7. November folgender Eintrag:
„Item gemeiner Stat kuchen an Sant Moritzen Capellen, die Cunrat Reinhart seliger inngehabt, ist Lenharten Schürstabs malers seligen verlassen wittiben und kindern verlassen bis auf eins erbarn rats widerrufen ein jar um acht gulden rheinisch zins.“
Was diesen Cunrat Reinhart betrifft, so wird er im Jahre 1517 als Prokurator genannt und am 26. August dieses Jahres dem Jakob Forderer gestattet, ihn in allen seinen Händeln am Gericht zu vertreten bis auf eines Rats Widerrufen. Und weiter heißt es von ihm zum 23. Juni des Jahres 1518:
„Item Cunraten Reinharten soll man in bedacht seiner langwierigen dienst und aus einem mitleiden seines alters und Unvermögens gegen dem, das er itzo des procuratorampts abstet, hinfüro alle wochen sein leben lang zu einer zubuss vier pfund alt aus der losungstuben reichen.“
Es ist doch recht merkwürdig, daß ein Prokurator Inhaber des Bratwurstglöckleins sein konnte. Man möchte fast auf den Gedanken kommen, daß man es ihm für sein späteres Alter übertragen hatte, um Nutzen aus seinen Einkünften zu ziehen. Er brauchte deshalb nicht etwa auch Wirt des Bratwurstglöckleins zu sein. 1568 wird dieses als „Garkuchen oberhalb St. Sebalder Pfarrkirchen an der sogenannten Moritzer Kapellen“ bezeichnet.
Es wird manchmal vermutet, daß das Bratwurstglöcklein ehedem als Beinhaus in Verwendung gewesen sei. Doch das ist ganz und gar unrichtig. Das Beinhaus und das Bratwurstglöcklein sind zwei ganz verschiedene Dinge und beide wohl von einander zu unterscheiden.
Erst im Jahre 1655 erhielt das Bratwurstglöcklein seine heutige Gestalt. Und es dürfte wohl interessant sein, Näheres darüber zu erfahren. Am 16. März dieses Jahres verkauft Christof Derrer von und auf der Untern Bürg, des älteren geheimen Rats und der Zeit verordneter Zinsmeister, im Namen und auf Befehl des Nürnberger Magistrats um eines besseren Nutzens und Frommens gemeiner Stadt willen „die Erbgerechtigkeit der Garküche oberhalb St. Sebalder Pfarrkirchen, an der sogenannten Morizer Kapellen allda und an selbiger Mauern angebaut stehend, mit ihren habenden Lichten, Trüpfen, Rechten und Gerechtigkeiten, bevorab des Metzeins und fremden Bierschenkens, auch allen anderen Zu- und Eingehörungen, wie dieselbe allenthalben mit Niet, Nagel und Band umfangen, begriffen und jetzt „vor Augen“ dem ehrsamen Hannsen Vischern als dieser Zeit Wirt und Beständnern d. h. Pächter obgedachter Garküchen, und Eva seiner Ehewirtin, auch allen ihren Erben und Nachkommen um 600 Gulden baren Geldes, welche die Käufer bar ohne Mangel und Abgang erlegt und ausbezahlt. Er erklärt außerdem, daß abgesehen von der Eigenschaft der Rat und das Zinsmeisteramt in Zukunft an dieser Garküche weiterhin nichts mehr zu suchen noch zu fordern haben. Weiter – und das ist besonders wichtig – wurde den Käufern bewilligt, daß sie nicht allein ein kleines Kellerlein vornen heraus gegen den Milchmarkt zu gleich unter ihrem Küchlein von neuem erbauen und einrichten lassen, sondern auch unten her an ihr allda im Gäßlein befindliches Häuslein und Ställein, welches fünfzehn Schuh lang und acht Schuh breit ist, noch zwölf Schuh und also in allem siebenundzwanzig Schuh lang, doch daß es dem vorigen Gebäude der genannten Garküche in der Höhe gleichkommt, auf ihre Kosten anbauen sollen und mögen. Die Käufer mußten sich aber verpflichten, zum Zeichen der Anerkennung der von Seiten des Nürnberger Rats auf ihrer Garküche ruhenden Eigenschaft einen Guldengroschen ewigen und jährlichen Eigenzinses alljährlich auf Walburgis Zeit in das Zinsmeisteramt zu reichen.
Damals also erhielt das Bratwurstglöcklein seine heutige Gestalt. Nach rechts hin wurde, über die Flucht der Giebelfront der Moritzkapelle hinausreichend, die kleine Küche mit dem grossen massiven Rauchfang und dem hoch emporgeführten Schlot angebaut. Dabei wurde das kleine Mäuerlein mit dem hübschen, kunstgeschichtlich bedeutsamen Relief des Schmerzensmannes vom Jahre 1422 mit in den Anbau hineingezogen. Die Giebelschräge aber wurde in sinniger Art mit kräftig gerollten Voluten wirksam belebt. In dieser Gestalt dient sie dem Bau als ein sehr in. die Augen fallender Schmuck. Gleichzeitig wurde das Bratwurstglöcklein nach links hin fast um seine volle Länge verdoppelt. Aeußerlich erkennt man dies an der verschiedenartigen Fachwerkkonstruktion. Die rechte Hälfte zeigt gerade Balken und aufrechte Ständer, in der linken Hälfte werden diese außerdem noch durch Schräghölzer mit einander verbunden. Seit jener Zeit hat das Bratwurstglöcklein keinerlei einschneidende Veränderungen mehr erfahren. Es hat das Aussehen, das man ihm damals gab, bis auf den heutigen Tag bewahrt.
Das war also im Jahre 1655. Nun hören wir eine Zeitlang nichts von unserem Bratwurstglöcklein.
Erst das Jahr 1689 bringt uns wiederum Kunde von ihm. Unterdessen war es in andere Hände übergegangen, nämlich in die des Johann Ernst Keszer, Wirts und Weinschenks in Nürnberg, und Margaretha seiner Ehewirtin. Diese verkaufen am 29. Oktober genannten Jahres die Erbgerechtigkeit an der Garküche oberhalb St. Sebalder Pfarrkirchen an der Moritzkapelle und an deren Mauer angebaut stehend nebst der Gerechtigkeit des Metzeins und fremden Bierschenkens dem Johann Andreas Spörl, Bürger allhier und der Zeit noch Spitalmeister zu Lauf, und seiner Frau Margaretha sowie allen ihren Erben und Nachkommen. Unterdessen war der Kaufwert des Bratwurstglöckleins beträchtlich gestiegen. Betrug er im Jahre 1655 nur 600. Gulden, so bezifferte er sich jetzt auf 1600 Gulden – ein Zeichen, dass das Geschäft mittlerweile ein einträgliches geworden war. In den Verkauf willigte der derzeitige Zinsmeister Wilhelm Imhoff, des älteren geheimen Rats, vorderster Scholarch und Kirchenpfleger, in Bezug auf die Eigenschaft, für die jährlich ein Guldengroschen an das Zinsmeisteramt zu zahlen war.
Man muß sich füglich wundern, wenn man hört, daß das Bratwurstglöcklein nur zehn Jahre später schon einen Wert von 2400 Gulden erreicht hatte. Johann Andreas Spörl scheint die verflossene Zeit gut ausgenützt und sich durch fleißiges und emsiges Wirtschaften für sein späteres Leben gesichert zu haben, sonst hätte er nicht schon jetzt in der Lage sein können, sein Anwesen wieder zu verkaufen. Am 31. August des Jahres 1699 wurde das Bratwurstglöcklein von Georg Rochus Weber, Bürger, auch Rotgießer und Konstabler unter der allhiesigen Artillerie, sowie dessen Frau Kunigunde um die angegebene Summe erstanden. In den Verkauf willigte wiederum der Zinsmeister der Stadt, welches Amt damals Johann Friedrich Beliaim von Schwarzbach, des inneren geheimen und Kriegsrat, bekleidete. Die diesbezügliche Urkunde ist darum interessant, weil sie erkennen läßt, daß auch das zum Betrieb der Wirtschaft erforderliche Inventar mit in den Verkauf eingeschlossen wurde. Unter anderem werden viertausend Bratwurstdärme mit übergeben. Die Raumeinteilung war damals die gleiche wie heute. Wir erfahren von der Küche, der Wohnstube (jetzt das eigentliche Verkehrslokal), dem kleinen Stüblein und der Magdkammer. Das kleine Stüblein enthielt wie heute ein Tischlein, in der Wohnstube waren drei Tische und vier Bänke aufgestellt.
Der Name „Bratwurstglöcklein“ ist neueren Datums. Ursprünglich trug es keine weitere Bezeichnung, sondern hieß schlechthin „Garküche“ mit Angabe ihrer Lage an der Moritzkapelle bezw. am Sebalder Kirchhof. Erst im Jahre 1729 tritt es urkundlich mit eigener Benennung auf. Damals verkauften der erwähnte Georg“ Rochus Weber und seine Frau Kunigunde dem Simon. Wörle und seiner Frau Anna „ihre bishero besessene eigentümliche, in St. Sebalder Pfarr an der Moritzkapelle angebaute Wirtsbehausung und Garküche, zum blauen Glöcklein genannt, neben der darauf haftenden Gerechtigkeit des Metzeins oder sogen. Schweinstechens und Bierschenkens, für 2900 Gulden Kauf und 50 Gulden Leikaufsumme“. Zinsmeister war in jener Zeit Wolf Adam Friedrich Stromer von Reichenbach, des inneren geheimen und Kriegsrat. Er hatte wiederum wegen der schon öfters erwähnten Eigenschaft formell die Genehmigung zu dem Verkauf zu erteilen. Eingeschlossen in den Verkauf waren: im hinteren Stüblein 28 Stück zinnerne Schälehen, der Behälter samt dem Gießfaß; in der getäfelten Kammer die zwei „Spahnwerk“ (Betten); im Gewölbe die Wage samt den vorhandenen Gewichten, ein kupferner Kessel mit Dreifuß, ein Trog, samt der in der Stube befindlichen Hackbank, der eichene lange Tisch, die Mittelbank und ein eichener Stuhl, ferner zwei zinnerne Maßkannen, dazu das Kellergeschirr, bestehend in einer zinnernen Maß und einem halben Seidelmaß.
Simon Wörle und seine Frau Anna hatten die Garküche zum blauen Glöcklein nur sechs Jahre inne. Am 9. August 1735 ging sie um den Kaufpreis von 2681 Gulden an Georg Bück, Bürger und Garkoch, und seine Gattin Anna Maria über. Der Verkauf erfolgte mit Dreingabe derjenigen 25 Gulden, welche die Wörleschen Eheleute zur Konservierung des Weizenbieres in dem wohllöblichen Weizenbräuamt liegen hatten. Von Georg Bück, der sich nach dem Tode seiner ersten Frau wiederum verheiratet hatte und als bisheriger Garkoch, Bierwirt und Schweinestechermeister bezeichnet wird, kam dann das Bratwurstglöcklein am 9. November 1769 an Konrad Voit, bisherigen Brau- und sogenannten Meisterknecht, nunmehr aber neuangehenden Bürger und Bierwirt. Der Kaufpreis bezifferte sich auf 2750 Gulden und eine als Leikaufsumme. Benannt wird es als die „an die Moritzkapelle rückwärts angebaute unterhalb des Milchmarkts gelegene, unter die vier ältesten Hauptküchen gehörige, sowohl des Metzeins als des fremden Bierschenkens berechtigte, in der vierten Klasse stehende Wirts- und Garkochsbehausung und Hofraith“. Wiederum werden zahlreiche Gebrauchsgegenstände mit übergeben, darunter auch zwei Bratwurströste, eine eiserne Blutpfanne und vier große irdene Bratwursttiegel.
Mit dem Beginne des 19. Jahrhunderts hebt für das Bratwurstglöcklein die eigentliche Blütezeit an. Erst jetzt wurde es die von keinem Fremden unbesucht gelassene gemütliche Kneipe.
Staunen müssen wir, wenn wir aus der Verkaufsurkunde vom 2. November 1804 erfahren, daß neben zahlreichen Gebrauchs- und Inventarstücken an die 25000 Bratwurstgedärme mit übergeben werden. Es scheint demnach, daß auf die Herstellung schmackhafter Bratwürste schon damals besonderer Fleiß verwandt wurde, und daß dem auch allseits die gebührende Anerkennung nicht versagt blieb. So erklärt es sich auch, daß der zahlenmäßige Wert der „Garküche zum blauen Glöcklein“ unterdessen bedeutend gestiegen war. Er belief sich im genannten Jahre auf 4000 Gulden, stieg im Jahre 1810 auf 4250 Gulden und schon im Jahre 1836 auf den Betrag von 10254 Gulden. Am 18. Mai 836 verkaufen Johann Friedrich Mederer, Bürger und Garkoch, und dessen Frau Barbara ihre Garkochs-Wohn-Behausung zum blauen Glöcklein, auf welcher bisher das braune und Farrenbacher Bier im Haus geschenkt wurde, nebst Dreingabe der zur Führung dieses Geschäftes notwendigen Gerätschaften, dann des noch vorhandenen Sauerkrautes und der Bratwurstgedärme, dem Tobias Jakob Hafner, seitherigem Kellner, des verstorbenen Jakob Hafner, Bürgers und Brauhausbesitzers zu Altdorf hinterlassenem Sohn.
Derzeitiger Inhaber des Bratwurstglöckleins ist Heinrich Bauer, der es erst jüngst übernommen und seinen Vorgängern gleich bestrebt ist, seinen Gästen nur vom Besten zu bieten! Seine Bratwürste werden aber auch von auswärts viel begehrt, ein Zeichen für ihre bewährte Güte und Vortrefflichkeit!