Die Bratwurst im fränkischen Reich

Der Satan, die Rechtgläubigen und ein verhängnisvoller Schwur

Endlich nimmt der Große Bratwurstplan Gestalt an:
Die fränkischen Könige lassen ihre Ostprovinz zwischen Bamberg, Eichstätt und dem dunklen Frankenwald von tatkräftigen jungen Männern aus Trier und Worms auf Vordermann bringen. Unbezwingbare Grenzfesten sichern die fränkische Wurstkammer, in der sich das bunte Völkchen störungsfrei vermischen kann.
In eilig errichteten Königshöfen lassen die Frankenkönige Schweinezuchten anlegen, die erste um das Jahr 750 bei Fürth.

Besonders Karl der Große sorgt sich um die systematische Verbreitung des Hausschweins im Kaiserreich. Vorausschauend nimmt er ein gewaltiges Werk in Angriff, das aber erst am Ende des 20. Jahrhunderts als »Main-Donaukanal« beendet werden sollte: den Karlsgraben.
Das geniale, von europäischer Weitsicht zeugende Kanalprojekt zum reibungslosen Transport von Lebendschweinen von der Nordsee und dem Schwarzen Meer nach Mittelfranken ist für den großen Frankenherrscher jedoch eine Nummer zu groß. Der Karlsgraben bleibt unvollendet.

Doch auf festem Boden ist dem Kaiser ein schöner Erfolg beschieden, hier legt er den strategischen Grundstein für die Massenproduktion von Wurstwaren: Auf großen kaiserlichen Meiereien läßt Karl bis zu 400 Schweine halten und von »starken Knechten« schlachten, pökeln und räuchern.

Die Zeiten, als Schinken, Speck und Bratwurst noch mühsam zu beschaffende Genußmittel waren, sind vorbei.

Da will auch die Kirche nicht abseits stehen.
In einer ersten Dringlichkeitsmaßnahme verdammt sie den Genuß der größten Bratwurstkonkurrenz, der Blutwurst. Und zwar derart, daß sogar Kaiser Leo VI. im fernen Byzanz verängstigt argwöhnt, »freßlustige Blutwurstesser« könnten »die Ehre des Staates schänden«. Jeden Sonntag geißeln rechtgläubige Prediger die Blutwurst als Teufelswurst, die braven Christen von religiösen Gegenspielern offeriert wird, »um sie von der Wahrheit abzubringen«.

Den Absatz der gottgefälligen Bratwurst aber fördert der Klerus konsequent.
Klöster mit gutsortierten Kräutergärtchen und stattlichen Schweinekoben werden zu den Keimzellen deutscher Gastronomie, in den klösterlichen Herbergen blüht altfränkische Gastlichkeit: Dampfende Fleischplatten, gekrönt von lecker gegrillten Würsten, hinuntergespült mit süffigem Mönchsbräu, gelten bei welterfahrenen Pilgern und Reisenden als Haute Cuisine des Frankenreichs.

»Die Franken fürchten niemanden, solange ihr König gesund ist« (Otfried v. Weißenburg)

Im Schutz ihrer Burgen und Klöster lassen Klerus und Adel Wälder roden, Siedlungen anlegen und Städte gründen, in denen hungrige Schmiede-, Kesselflicker-, Gerber- und Bäckerfamilien auf Kurzgebratenes warten. Während aber die meisten Branchen des frühen Mittelalters bereits in der Stadt arbeiten, müssen die ersten Fleischersknechte wegen »Unreinlichkeit und Unbequemlichkeit« ihr blutiges Handwerk vor den Toren der Stadt ausüben.

Doch nicht für lange. Die sensible Organisation der Fleischversorgung in den schnell wachsenden Städten zwingt die Verbraucher, den Fleischfachmann hinter die Stadtmauern zu bitten. Im feierlichen Metzgerseid muß er sein »trew gebn und darauff zu got und den heiligen schwern«, für alle Zeit den Bürger mit genug frischer und bezahlbarer Ware zu bedienen. Ein gefährliches Versprechen, wie sich bald zeigen wird.

Doch bedenkenlos schwört er und steigt vom gemiedenen Schlachtersknecht zum geachteten Meister auf, der an seiner mobilen Holzbude Rinderkeule, Lammfilet und Schweinskopf feilbietet. Ständig im Angebot natürlich die Bratwurst, in Weidenkörben appetitlich präsentiert.

Nach dem Tod Kaiser Karls zerfällt das Fränkische Reich, doch die Saat des letzten Frankenherrschers geht auf:
Die Bratwurstversorgung ist flächendeckend sichergestellt, die liebliche Ostprovinz ist zum europäischen Zentrum der allantophilen (wurstfreundlichen) Kultur avanciert. Am neuen Berufsstand des fränkischen »Mezzelers« liegt es nun, an der ff-Qualität der Produkte zu feilen. Im Herzen umwallter Städte richten experimentierfreudige Pioniere erste provisorische Laboratorien ein, in denen sie sich der Geschmacksgebung der 1-A-Fränkischen widmen.

Die dunkle Epoche der anarchischunkontrollierten Privatbratwurst ohne Genossenschaft, Schlachthaus und Fleischbeschau ist zu Ende. Um die Jahrtausendwende dämmert das Zeitalter der behördlich geprüften Zunftwurst herauf, und mit ihm seine künftige Metropole Nürnberg.